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Vorwort von Arndt Richter 

Chemie-Nobelpreisträger Prof. Dr. mult. Hermann Staudinger, 1881-1965
Dem Leuchtturm der Chemie und Lebenswissenschaft in Verehrung und zum Gedenken.

 

Als einer seiner Lehrbuch-Schüler schreibe ich dieses Vorwort, der auch Hermann Staudingers Ahnenschaft mit geneTalogischer Neugier zusammen mit Kollegen bis zu den Grenzen der Quellen nachgegangen ist. 

"Selten können wissenschaftliche Kenntnisse auf einem Forschungsgebiet so auf die Arbeiten eines einzelnen Wissenschaftlers zurückgeführt werden wie im Fall der Untersuchungen Staudingers. Als er zu Beginn der 20er Jahre den bahnbrechenden Vorschlag machte, daß es sich bei Zellulose, Stärke, Proteinen und Gummi um hochmolekulare Substanzen und nicht um kolloidale Aggregate von kleinen Molekülen handelte, wurde er von berühmten Zeitgenossen vehement attackiert. Es galt als Lehrbuchweisheit, daß Verbindungen mit sehr hohen Molekulargewichten nicht existieren könnten und daß die sog. makromolekularen Verbindungen in Wahrheit Gemische von schwer zu trennenden kleinen Molekülen seien. ...

In den 20er Jahren gelang es Staudinger, unter Nutzung von modernen analytischen Geräten wie dem Elektronenmikroskop und dem Ultramikroskop, die Eigenschaften von natürlichen und künstlich hergestellten makromolekularen Substanzen mit seinen Modellvorstellungen von polymeren Molekülen zu erklären. Die ursprünglich nur als Hypothese formulierte Idee erwies sich als äußerst fruchtbar bei der Herstellung und Analyse von Polymeren. ... [Erst] um 1935 waren seine Ideen von fast allen Zeitgenossen akzeptiert." (Prof. Gernot Frenking; in: Harenberg Lexikon der Nobelpreisträger, 2. Aufl., 2000) .

Durch Staudingers Erkenntnisse als "Vater der Makromoleküle" gelang ihm auch eine Formulierung von allgemeinster interdisziplinärer Bedeutung: "Was ist Leben"? Und er konnte damit auch eine Vorahnung des großen Leibniz, die dieser Ende des 17. Jahrhunderts gemacht hatte, glänzend bestätigen (Monadologie, § 64).- Bereits in den 40-er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatten einige berühmte Physiker in ihren Veröffentlichungen die Frage gestellt: "Was ist Leben?". Erwin Schrödinger und Pascual Jordan (beide berühmte Quantenphysiker) untermauerten sie u. a. durch mikrophysikalische und quantenmechanische Ergebnisse (künstliche Mutations-Versuche durch Bestrahlungen an Mirkoorganismen) mit dem Hinweis auf die große biologische Bedeutung großer Einzelmoleküle im Zentrum des Zellkerns von Mikroorganismen. 

Staudinger konnte diese biologischen Vermutungen seiner Physiker-Kollegen aufgrund seiner bahnbrechenden chemischen Forschungen an Makromolekülen bestätigen und ungefähr schon die Grenze zwischen toter und belebter Materie angeben am Beispiel eines kleinsten Lebenswesens, eines "atmos" des Lebendigen. - Und zwar an einer Bakterienspore hinsichtlich Durchmesser und Anzahl der erforderlichen Makromoleküle, die "die unvorstellbar strengen Ansprüche an die Integrität der Erbsubstanz befriedigen, die an den normalen Entwicklungsvorgang eines Organismus gestellt sind." "Ein "atmos" des Lebendigen, das nicht unterteilt werden kann, ohne daß es sein ‚Lebendigsein' verliert. Die lebende Natur gibt uns eine Antwort darauf, wie groß solch ein "atmos" zu sein hat, in Gestalt der verschiedenen Keimzellen." (aus dem Nobel-Vortrag Staudingers am 11. Dezember 1953 in Stockholm).

Als Chemiker prägte Staudinger eine berühmte Formulierung des Lebens, die auch mit den quantenmechanischen und molekulargenetischen Forschungen späterer Jahre im Einklang steht: "Bis zum Molekül hinunter ist alles durchstrukturiert." Bereits 1947 zitiert der Chemiker Staudinger in seinem Buch "Makromolekulare Chemie und Biologie" brückenbauend dazu den Physiker Pascual Jordan: "Es gehört zum Wesen des Lebendigen, daß es weder rein makrophysikalisch noch rein mikrophysikalisch ist, sondern beiden Schichten der physikalischen Wirklichkeit zugleich angehört, den Abstand von mikrophysikalischer "Unterwelt" und makrophysikalischer "Oberwelt" durch die Hierarchie seiner Strukturen und Funktionen überspannend. Leben ist ein Wirken aus der Akausalität der Unterwelt heraus in die kausal gebundene Oberwelt hinein: beides, die Verwurzelung im Mikrophysikalischen und das Hinaufreichen ins Makrophysikalische, ist in gleichem Maß charakteristisch und wesentlich" (zitiert aus: Pascual Jordan: "Die Physik und das Geheimnis des organischen Lebens", 1943). 

Damit entpuppen sich Leibniz' Monaden nach Jahrhunderten des von Leibniz geforderten Wissenschaftsaufbaus (Akademien in Berlin, Sachsen und Rußland!) aus physikalisch-chemischer und quantenmechanischer Sicht für Staudinger als "atmos des Lebendigen". Leibniz der bereits als der älteste "Ahnvater des Computers" anerkannt ist (Konstruktion einer Rechenmaschine und sein "dyadisches", also binäres, duales Zahlensystem) und auch als der "Schutzpatron" der Kybernetik gilt (Norbert Wiener, 1961), schrieb bereits in seiner berühmten "Monadologie" (§ 64, um 1710):

"Daher ist jeder organischer Körper eines Lebendigen eine Art von göttlicher Maschine oder natürlichem Automaten, der alle künstlichen Automaten unendlich übertrifft. Eine durch menschliche Kunst verfertigte Maschine ist nämlich nicht in jedem ihrer Teile Maschine. So hat zum Beispiel der Zahn eines Messingrades Teile oder Bruchteile, die für uns nichts Künstliches mehr sind und die nichts mehr an sich haben, was in bezug auf den Gebrauch, zu dem das Rad bestimmt war, etwas Maschinenartiges verrät. Aber die Maschinen der Natur, d. h. die lebendigen Körper, sind noch Maschinen in ihren kleinsten Teilen bis ins Unendliche. Das ist der Unterschied zwischen der Natur und der Technik, d. h. zwischen der göttlichen Kunstfertigkeit und der unsrigen". Was Leibniz 1710 vorausschauend für das organische Leben verkündete, formulierte Staudinger über 300 Jahren später also sinngemäß: "Bis zum Molekül hinunter ist alles durchstrukturiert." 

Vorher schrieb Leibniz (§ 17): "Übrigens muß man notwendig zugestehen, daß die Perzeption [sinnliche Wahrnehmung als erste Stufe der Erkenntnis] und was von ihr abhängt auf mechanische Weise, d. h. mit Hilfe von Figuren und Bewegungen, unerklärbar ist. Nehmen wir einmal an, es gäbe eine Maschine, die so eingerichtet wäre, daß sie Gedanken, Empfindungen und Perzeptionen hervorbrächte, so würde man sich dieselbe gewiß dermaßen proportional-vergrößert vorstellen können, daß man in sie hineinzutreten vermöchte, wie in eine Mühle. Diese vorausgesetzt, wird man bei ihrer inneren Besichtigung nichts weiter finden als ein einzelne Stücke, die einander stoßen - und niemals etwas, woraus eine Perzeption zu erklären wäre. Also muß man die Perzeption doch wohl in der einfachen Substanz suchen, und nicht in dem Zusammengesetzten oder in der Maschinerie!". Auch das erinnert doch nachdrücklich an Staudingers "atmos des Lebendigen", das dieser im Makromolekül sah, dessen Strukturaufbau ja bekanntlich alle Proteine und Nucleinsäuren besitzen - und nicht ein untrennbares Gemisch aus kleineren organischen Molekülen sind, wie es lange Zeit Staudingers Kollegen mit protestierendem Nachdruck vertreten hatten.- 

Auch erscheint mir abschließend noch Leibniz' Aussage richtungsweisend (§ 18): 
"Man könnte allen einfachen Substanzen oder geschaffenen Monaden den Namen "Entelechien" [Aristoteles] geben; denn sie haben eine gewisse Vollendung in sich. Es 
gibt in ihnen eine Selbstgenügsamkeit, welche sie zu Quellen ihrer inneren Tätigkeiten und sozusagen zu unkörperlichen Automaten macht." - 
In dieser durchstrukturierten Architektur der Zellkernkeimzelle, einem basen-organischen "Dombau" aus DNA (Desoxyribonucleinsäuren) und Proteinen (Eiweißen) sieht Staudinger das unteilbare "atmos des Lebendigen", - "die unterste hierarchische Stufe des Lebendigen, auf der das Spiel des Lebens einsetzt" (aus Staudingers Nobel-Vortrag 1953). 

Als Oberschüler in Dresden hat mich Leibniz als Mensch und Mathematiker bereits nach der Lektüre von Egmont Colerus' "Vom Einmaleins zum Integral" und seinem biographischen Roman: "Leibniz" (beides 1934) fasziniert. Später als Familienforscher und GeneTaloge machte mich Leibniz' "Ahnengalerie" neugierig, natürlich vor allem auf diejenigen  Leibniz-Ahnen in meiner thüringisch Altenburger und sächsischen Dresdner Elbtalheimat. Darüber habe ich bereits in meinem Online-Buch berichtet: "Festgefügtes im Strome der Zeit - Bekenntnisse - Erbe und Umwelt" (Kapitel 15.2: Leibniz' Vorfahren in Leubnitz bei Dresden). Auch die engen Beziehungen zwischen der Ahnentafelstruktur und Leibniz' "dyadischem" Zweier-Zahlensystem (0 und 1) fielen mir frühzeitig auf: 

http://www.genetalogie.de/bilderhtm/dualzahl.html
http://www.genetalogie.de/bilderhtm/ahnentafel.html
http://www.genetalogie.de/bilderhtm/leibman.html 

und resultierten 1996 auch in einem Beitrag: Arndt Richter/Weert Meyer: Gottfried Wilhelm Leibniz - "Pedigree and Ancestors" in der Wissenschaftszeitschrift Knowledge Organization, 23 (1996), No. 2 :

http://www.genetalogie.de/bilderhtm/leibdual.html

Eine weitere geistesgeschichtliche Analogie und Vorahnung auf die Entwicklungsgeschichte der Erde und des Lebens hat Leibniz in seiner "Protogaea" (1691) niedergelegt und hat mich Leibniz auch noch dadurch näher gebracht. In meinem Online-Buch habe ich darüber in Kapitel 11.1 Leibniz' Protogaea, berichtet: 

http://www.genetalogie.de/bekenntnisse/start.html

Meinem langjährigen Forscherfreund Wolfgang Trogus, Immenstaad, Ersteller zahlreicher großer Ortsfamilienbücher in Baden-Württemberg (erfaßt mit dem Computer-Genealogieprogramm GFAhnen) und erfahren auch als Mathematiker in der Quantitativen Adelsgenealogie (Kleinadel und Dynasten), verdanke ich jahrelange aktive Mitarbeit bei der Erforschung der Staudinger Ahnentafel. Wolfgangs große Erfahrungen bei der modernen Internet-Recherche machten es auch möglich, einige Dynasten-Übergänge aufzuspüren oder fortzusetzen, die im Rahmen unserer früheren gemeinsamen Goethe-, Orth- und v. Isenburg-Forschungszusammenarbeit jetzt von ihm auch in der Staudinger Ahnentafel erkannt werden konnten. Meine aus den Rösch-Forschungen gemeinsam mit Manfred Bäumer, Werne, digitalisierten Arbeiten zur Goethe- und Orth-Genealogie; z. B.: 

http://goethe-genealogie.de/mutterstammbaum/mutterstammbaumst.html
http://goethe-genealogie.de/orth/orthst.html

hat Wolfgang mit GFAhnen weitgehend übernommen, fortgeführt und damit der Quantitativen Genealogie zugeführt.- 

Wolfgangs Interesse für die Implex-Problematik und die quantitativen Kennwert-Berechnungen (wie Mehrfachahnenschaft und summarischer biologischer Verwandtschaftsgrad) mittels GFAhnen auf Basis der Rechenregeln von Prof. Siegfried Rösch von 1955, lassen nun erst das quantitativ Typische (= "GeneTalogische") solch großer o. g. Ahnentafel erkennen! Sehr viele Linien konnten bis weit über die Karolinger Zeit (z. T. bis zur 45. Generation) erforscht bzw. aus anderen Forschungen einbezogen werden. 

Zwei berühmte Ahnentafeln hat Wolfgang u. a. bereits beträchtlich erweitert und mit GFAhnen erfaßt: einerseits die von Carl Knetsch erforschte Ahnentafel Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832), jetzt online-veröffentlicht in unserer Goethe-Genealogie-Seite: 

http://goethe-genealogie.de/verwandtschaft/vorfahrenst.html

und andererseits die Ahnentafel des großen Genealogen Prinz Wilhelm Karl von Isenburg (1903-1956), online-veröffentlicht jetzt in meiner Genealogie-Seite:

http://www.genetalogie.de/isenburg/einleitung_isenburg.pdf

Mein besonderes Interesse an der Staudinger Ahnentafel wurde außer den oben genannten Motiven auch noch durch die engen Beziehungen zur Goethe-Ahnentafel beflügelt, zumal der berühmte Marburger Orth-Stammvater Antonius Orth (+ um 1490), der 3-mal in der Goethe-Ahnentafel vorkommt, in der Staudinger-Ahnentafel 10-mal vorkommt:

http://goethe-genealogie.de/orth/al_staudinger_uebersicht_04-12.pdf

Diese interessante Implex-Struktur ist hier - durch zwei verschieden große Verschwisterungslisten (VSL) als Basis - in dreifacher Ausführung dargestellt.
Zunächst noch manuell nach meiner handschriftlichen Skizzenvorgabe von unserem Sohn Udo (* 1964) mit Excel gezeichnet; und in zwei weiteren Implex-Grafiken. Jetzt aber bereits computergenealogie-mäßig erzeugt durch das neue Hilfsprogramm *Ahnenimplex* - Grafik- und Rechenprogramm nach Rösch von Martin Jülich. Dieses Programm ist allerdings zur Zeit noch in der Entwicklungsphase.

  • kleinere Jülich-Implex-Grafik (als PDF-Datei )
  • größere Jülich-Implex-Grafik (als PDF-Datei )

Die kleinere *Ahnenimplex*-Grafik zeigt die AT-Struktur Staudingers aufgrund von nur 
7 Ahnengeschwistern in der VSL. Die etwas größere zeigt die verwandtschaftliche Verflechtung von 16 Ahnengeschwistern (15 Vollgeschwister und ein Halbgeschwisterpaar). 

Eine vollständige VSL wurde mittels *Ahnenimplex* aus der GEDCOM-GFAhnen-Datei von Staudingers AL (bis zur 21. Gen.) erzeugt und wird hier auch noch gezeigt, da sie die gesamte "Anatomie der verwandtschaftlichen Verflechtung" der AT Staudinger exakt-abstrakt widerspiegelt! -

Diese *Ahnenimplex*-Ergebnisse (Grafiken und VSL) betrachte ich als das erfreuliche 
Ergebnis meiner nunmehr über 25-jährigen Bemühungen, solche Implex-Grafiken "automatisch" über VSL zu erzeugen, wofür ich dem jungen Programmierer Martin Jülich, Chemnitz, zu großem Dank verpflichtet bin. 

Ich freue mich, hier nun die gemeinsamen Staudinger-Forschungen in unsere Goethe-Genealogie-Seite stellen zu können, die seit über 12 Jahren Günther Unger, ehem. AMF-Vorstand, als WebMaster in bewährter Weise betreut. 

Staudingers wissenschaftlichen Leistungen wurden bereits in einigen Beiträgen im Internet gewürdigt; auf einige sei hier abschließend hingewiesen: 

http://www.seilnacht.com/chemiker/chesta.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Staudinger

Auch auf den geistesverwandten großen Physiker Pascual Jordan sei ein Link gesetzt:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pascual_Jordan

und mit der Bildergalerie Gottfried Wilhelm Leibniz' in meiner GeneTalogie-Seite beschlossen, um hier nochmals auf eine nachdenkliche geistesgeschichtliche Parallele hinzuweisen und zur Diskussion anzuregen:

http://www.genetalogie.de/gallery/leib/leibhtml/index.html

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Arndt Richter 

München, 15. April 2012 


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