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Abbildung Chr. Vulpius ./. Fr. Vohs

Zum Bilderstreit sei hier der Kommentar von Wolfgang Vulpius zum umstrittenen Bild aus seinem Buch "Christiane" von 1965 und dem dort veröffentlichten Bild der Büste von Christiane gebracht sowie ein Link auf einen Aufsatz von Ulrike Müller-Harang im Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft aus dem Jahr 2007.


1. Auszug aus Vulpius, Wolfgang: „Christiane – Lebenskunst und Menschlichkeit in Goethes Ehe“, Seite 169 ff., Gustav Kiepenheuer Verlag, Weimar 1965

Ein einziges Bild entsprach weitgehend den Vorstellungen, die man sich von Christianens Gesichtszügen, dem heiter-gutmütigen Ausdruck ihres Auges, ihrer Körperbildung und Haltung machte. So überzeugend wirkte dieses Bild, daß es alle anderen in den Hintergrund drängte. Es handelt sich um die Kreidezeichnung von Friedrich Bury aus dem Jahre 1800, die wir nach Seite 112 wiedergeben – zusammen mit der Porträtzeichnung Goethes von demselben Maler. Beide Bilder sind im gleichen Jahre entstanden, in der gleichen Technik und Größe, gleich gerahmt – kurz und gut: es sind vollkommene Gegenstücke. 130 Jahre lang (bis 1932 mindestens kann ich’s nachweisen) hat kein Forscher und kein Schriftsteller daran gezweifelt, daß die Zeichnung Burys Christiane darstellt – bis eines Tages Hans Wahl sich in seinem Gelehrten-Wissen verbunden fühlte, die dargestellte Person für die Schauspielerin Madame Vohs zu erklären. Er sah sich dazu veranlaßt durch die Feststellung, daß im ersten Verzeichnis von Goethes Bildersammlung (und in allen nachfolgenden), die sein Sekretär Schuchardt angefertigt hat, bei dieser Zeichnung vermerkt ist: „Porträt der Schauspielerin Madame Vohs.“ Die beschreibenden Angaben und der Umstand, daß die Zeichnung gleich hinter dem Porträt Goethes aufgeführt wird, lassen die Vermutung nicht zu, daß Schuchardt ein anderes, vielleicht nicht mehr vorhandenes Bild gemeint habe. Wahls „Berichtigung“ scheint demnach geboten und unanfechtbar. Trotzdem halte ich sie für falsch, ohne jedoch Wahl „dokumentarisch“ widerlegen zu können. Es macht zunächst stutzig, daß Marie Schuette, die 1910 die große Ausgabe des Führers durch das Goethe-Nationalmuseum bearbeitet hat, sehr wohl schon wußte, daß „in den alten Listen und bei Schuchardt das Bild als Porträt der Schauspielerin „Vohs“ aufgeführt ist. Trotzdem erklärte sie es für Christiane – ganz ohne Fragezeichen, aber leider auch ohne Begründung. Hielt sie eine solche für überflüssig? Das ist sehr wohl denkbar. Die Bilder des Mannes (Goethe) und der Frau (?) sind in kurzer Zeit hintereinander entstanden und gehören so eng zusammen wie nur möglich. Friedrich Bury, mit Goethe seit Rom her bekannt und befreundet, weilte vom Herbst 1799 bis in den Hochsommer 1800 in Weimar und schuf damals nicht nur die erhaltene Porträtzeichnung von Goethe, sondern auch ein verlorengegangenes Ölgemälde von demselben. Mit Christiane war er zeitweise allein, so Ende April bis Anfang Mai 1800, als Goethe zur Ostermesse nach Leipzig gefahren war. Am 3. Mai schrieb ihm Christiane dorthin: „Der Herr Bury („biro“ schreibt sie allerdings!) hat auch eine sehr große Freude über das Tuch (er brauchte es als Draperie für das Ölgemälde), und mannichmal wird auch etwas gehast. Gestern waren wir im alten Garten, und morgen wollen wir nach Erfurt, wo ich ihm schon vorausgesagt habe, daß da Äuglichen gemacht werden. Das will er aber nicht leiden, also wird es nichts werden, und ich werde mich darein finden müssen.“ Läßt es der freundschaftlich-schalkhafte Ton, in dem Christiane von dem Maler berichtet, nicht sehr wohl denkbar erscheinen, daß er auch sie damals gezeichnet hat? Wie aber wäre er dazu gekommen, Frau Vohs für Goethe zu porträtieren, und zwar als genaues Gegenstück zu dessen Bildnis? Diese Schauspielerin gehörte zu den begabteren des Hoftheaters, und Goethe hat sie gewiß geschätzt, aber von einem freundschaftlichen Verkehr mit ihr ist nichts bekannt; vor 1800 (und noch lange danach) erscheint ihr Name in Goethes Tagebüchern überhaupt nicht. Er hat einmal gesprächsweise ausgeführt, wie peinlich er sich als Theaterleiter in acht nehmen mußte, mit einer der ihm untergebenen Schauspielerinnen ein näheres Verhältnis anzuknüpfen, und daß er jeder Versuchung in dieser Richtung widerstanden habe. Und er sollte eine verheiratete Schauspielerin als Gegenstück zu seinem eigenen Bilde haben malen lassen? Es ist nicht denkbar! Wir besitzen – soviel ich weiß – nur ein sicher bezeugtes Bild der Madame Vohs, leider ein sehr kleines von zweifelhaftem Wert aus dem Gothaer Theateralmanach. Wir geben es nach Seite 160 wieder. Unsere Leser mögen beurteilen, ob es Ähnlichkeit mit der Buryzeichnung aufweist. – Wie nun mag Schuchardt dazu gekommen sein, das Frauenbildnis Burys für Madame Vohs zu erklären? Ich gestehe, daß ich auf diese Frage keine Antwort weiß, es sei denn, daß ich einen Irrtum annehme. – In seiner 1951 erschienenen Kulturgeschichte der Stadt Hanau hat Fried Lübbecke auch den Maler Friedrich Bury behandelt, der ein Hanauer Kind war. Und obwohl er wußte, daß Hans Wahl auf Grund von Schuchardts Angabe die Bildniszeichnung Burys für Madame Vohs erklärt hat, blieb er doch dabei, daß es sich hier um Christiane handelt, die Goethe zur Seite gestellt werden sollte. „Je länger ich die beiden Bilder betrachte“, schrieb er mir, „desto mehr wird mir die innere Verbindung dieser Gegenstücke gewiß … Selbst wenn wir gar nichts von dem dargestellten Paar wüßten, bliebe der Eindruck einer liebenden Verbindung, eines geheimen Einverständnisses.“

Büste von Chr. Vulpius Büste von Christiane Vulpius

2. Aufsatz von Ulrike Müller-Harang im Jahrbuch 2007 der Goethe-Gesellschaft:
https://www.klassik-stiftung.de/uploads/tx_lombkswdigitaldocs/Jahrbuch_2007_Mueller_Harang.pdf

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letzte Änderung: 31. Januar 2018, © ungerweb