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Zu Goethes Ahnen- und Sippenschaft

Ein Heimat- und Kulturbeitrag
(Aus: Arterner Zeitung vom 18. + 21. November 1940, Verfasser: Ewald Engelhardt)

 Nachdem die Goetheahnenforschung jahrzehntelang kaum vom Fleck gerückt war, hatte unser Landsmann Friedrich Schmidt, der Sangerhäuser Stadtarchivar und Ehrenmitglied der Aratora, ihr einen großen Ruck gegeben, wonach sie dann von verschiedenen anderen Forschern neue Antriebe empfing. An dieser Stelle haben wir im Goethejahr 1932 die nordthüringer Göthes eingehend zusammenfassend behandelt und später mehrere sonstige Hinweise gegeben, denen wir heute für die vielen Goetheverehrer und Sippenforscher Arterns und der Gelte eine neue, nicht minder reizvolle Zusammenfassung weiterer Forscherergebnisse anschliessen.

Da sind zunächst zwei erstaunliche Kunden. Erstens die, daß bei Stettin, als "hoch" in Norddeutschland, in der Gegend von Attenbach, nicht weniger als 1000 Göthes jetzt leben und zwar als Bauern. Danach ließe sich nun nicht mehr die alte Behauptung festhalten, die Göthes seien mitteldeutschen Schlages. Freilich: ob jene und "unsere" Göthes blutsverwandt sind? Wir zeigten ja hier in unserer Abhandlung über unsere Familiennamen, wie sehr, sehr viele Geschlechternamen von Vor- und Ortsnamen herrühren; und so ist keineswegs sicher, daß alle Göthes verwandt wären. Die einen "Göthes" können von einem "Götz" (Gottfried) abstammen, die anderen von einem "Gothaer" usw. Gerade die Herkunft unserer mittel- und nordthüringer Göthes wird vermutlich aus jener Stadt in der mittelthüringer Mulde Herkunft und Namen haben. Einer schrieb sich Gothe, ein anderer geradezu noch Gotha.

Die zweite erstaunliche Kunde bildet die Nachricht, daß ein lebender Theodor Göthe, Nachkomme nicht des Dichters, wie man meldete, sondern des C h r i s t o p h Göthe, eines Großonkels vom Dichterfürsten, eine Kartei mit nahezu 30 tausend Göthes und Goethes fertiggebracht habe. Zugleich wird uns aber gemeldet, der Name komme vom – chinesischen Go, davon das deutsche Wort Gau sei, - Behauptungen, die wohl nicht erst langer Widerlegung bedürfen.

Vor Jahren schon hat aber Carl Knetsch eine A h n e n tafel des Dichterfürsten zustande gebracht, die sich also nicht nur mit dessen G ö t h e ahnen, sondern zugleich auch mit seinen a n d e r e n Ahnen befaßt und ungemein fesselnd ist. Gehen wir dieser Tafel und ihren reichhaltigen Bezügen nach, so wollen wir uns doch vor dem Fehlschlusse hüten, der immer wieder gemacht wird, als ließe sich Goethes Schöpfertum (Genie) aus der Fülle vortrefflicher Eigenschaften eben seiner Ahnen gewissermaßen addieren. Nein, so liegt der Fall denn doch nicht, und Goethe selber hatte einen Hinweis gegeben, der turmhoch über seine halb scherzhaften Verschen ragt, die man immer angeführt findet:

 

Vom Vater hab ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen,
Vom Mütterchen die Frohnatur,
die Lust zum Fabulieren.
Urahnherr war der Schönsten hold,
Das spukt so hin und wieder,
Urahnfrau liebte Schmuck und Gold,
Das zuckt wohl durch die Glieder.
Und sind die Elemente nicht
Aus einem Stück zu trennen,
Was ist denn an dem ganzen Wicht
Original zu nennen?
Der viel tiefere Hinweis lautet:
Gaben, wer hätte sie nicht? Talente, Spielzeug für Kinder.
Nur der Ernst mach den Mann, nur der Fleiß das Genie.

(Das ist natürlich cum grano salis gesagt und bedürfte, gründlich erläutert, eines ganzen Buches für sich.) Aber schon Chamberlain, nicht der mit dem Regenschirm, sondern der Schwiegersohn Richard Wagners, wies darauf hin, wie unrecht man täte, immer Goethes Vater gegen die Mutter herabzusetzen. Sie war, könnte man sagen, ein Genie der Heiterkeit, der Vater aber aus viel härterem Holze geschnitzt, dem zum Beispiel deutsche Not bei der Besetzung Frankreichs durch Franzosen viel tiefer zu Herzen und Hirn gegangen ist. Im Alter hat der Dichter ihn einen "tüchtigen Kerl" genannt, der ihn selber als einen "wunderschönen Kauz" habe mit Freude gewähren lassen.

Äußerst beachtenswert bleibt übrigens, was die allermeisten nicht wissen oder übersehen: Goethes Geschwister sind fast sämtlich sehr früh gestorben, was wohl von schlimmer Ansteckungskrankheit des Vaters (in Venedig) herkam.

Nur Schwester Kornelie blieb am Leben, wuchs stattlich auf, länger als der Dichter, besaß auch eine viel höhere Stirn als er, zu dessen Stirn man irrig immer die angrenzende, im Alter kahle Schädeldecke mitzurechnen pflegt. Während der Dichter infolge günstigster Erbmischungen, Lebensglücks, ernsten Strebens und unablässigen Fleißes sich zu einer der weitestbreiten Persönlichkeiten des Menschengeschlechts entwickelt hat, verkümmerten die sicher auch reichhaltigen Erbeigenschaften in Kornelie. Ihr Bruder nannte sie "eine tiefe und zarte Natur" mit einem "über ihr weibliches Geschlecht erhobenen Geiste". Aber sie war, um es kurz anzudeuten, eine schwerhysterische Natur, die sich und ihrem Gatten die Ehe vergällte und die frühzeitig starb.

Wenn wir erwägen, wie viele Millionen Ahnen wir Mitteleuropäer, die Deutschen besitzen und wenn wir noch die vielfache Ahnengleiche in Betracht ziehen, dann können wir nicht die Bewunderung mitmachen, daß "viele große Geister" miteinander verwandt sind. Wir sind a l l e untereinander verwandt, nahezu alle. Dafür nur einen wirksamen Beleg: die 3. Tochter eines Arterners kommt in Briefwechsel mit einer Finnin; beide Mädel schreiben sich öfter, schließlich fährt die Finnin zu der Brieffreundin, - und mit Erstaunen sehen beide, sind sich so ähnlich, daß man sie fast als "Zwillinge" verwechseln könnte!

Immerhin konnte man es wagen, bis zu erheblichem Grade Goethesche Arteigenschaften des Mannes, Dichters, Staatsmannes, Zeichners, Wissenschaftlers, Belehrers, Theaterdirektors, Entdeckers usw. versuchsweise von Ahnenreihen herzuleiten. Es bleibt glückliche Fügung, daß man gerade für ihn, der sich seinerzeit leider ganz umsonst in unserem Artern nach seinen Urgroßeltern erkundigt hatte, jetzt "rund 600 Ahnen aus Bürger-, Bauern- und Rittertum bis ins 13. Jahrhundert zurück" hat feststellen können, "abgesehen noch von solchen, die hochadeligen Sippenkreisen angehören". Dr. Möbius, Geheimrat Sommer, Kretschmar, Rauschenberg, Tröge und andere versuchten, ihn vom Vielerlei seiner Ahnen her zu deuten, doch Tröge mahnt mit Recht: "Eins ist immer von nöten: Ehrfurcht! ... Der Genius selbst wird undeutbar bleiben."

Die meisten ahnen meines Erachtens gar nicht, w i e  u n h e i m l i c h   stark in uns allen millionenfaches Ahnentum oft im Einzelfühlen, Wollen und Tun hervorlugt! Wir sind sämtlich ihm viel, viel mehr hörig, als wir glauben, - nur die Mischung läßt sich kaum je andeuten, sie ist erstaunlich reich und ändert sich ja mit jeder Geschlechterfolge wieder ungeheuer. Hat jeder nur 4 Urgroßelternpaare, so doch in der 21. Folge schon 1 Million 48tausend und 576, in der 41. aber, zur Zeit unserer ältesten schriftlichen Heimatkunde, des Herzfelder Zehntverzeichnisses Brevarium Sancti Lulli um 780, wären es mehr als
1000  M i l l i a r d e n  Ahnen, wenn nicht vielfache Ahnengleiche immer wieder dazwischen spränge! So natürlich auch bei Goethes Ahnen. Bedenken wir ferner, daß wir ja von unzähligen Ahnen, wenn wir ihre Namen und Daten besitzen, sonst  n i c h t s   wissen. Aber immerhin, es läßt sich doch einiges aufstellen, auch für unseres Dichterfürsten Art.

Der ja in Kannawurf geborene und aufgezogene Großvater Friedrich (Georg) Goethe (wie er sich in Frankfurt schrieb), er hatte als Damenschneider viele weibliche Anmut zu sehen und herrliche Frauenkleider herzustellen schier täglich Gelegenheit. Sein Sohn Kaspar liebte Italien, nach dem sich dann dessen Sohn bekanntlich vor seiner italienischen Reise zuletzt fast krankhaft sehnte. Das nahezu Peinlich-Biedere des Dichterfürsten in machen Amtsfragen (z.B. über die Hosen eines geflohenen Husaren!) wird mit von seinen Arterner und Berkaer Ahnen stammen, vom Arterner Hufschmied, Ackerbürger und Ratsherrn Hans Christian Göthe und dem Arterner untersten Lehrer Werner sowie von deren Ahnen. Beim trotzigen Aufbegehren des Berkaer Ahns Hans Göthe des Aelteren, der 1607 eingekerkert worden ist, weil er hat "sein eigener Richter sein wollen und einen Schafknecht mit einer Buchsen durch den Kopf geschossen", denkt man ans zornige aufgeregte Leipziger Studentlein Wolfgang, an sein Aufstampfen und Zähneknirschen schon als Kind zu Frankfurt und noch als Geheimbderat zu Weimar, den Nachkommen von Bauern und Grobschmieden zu Berka, Sangerhausen und Artern. (Der alte Arterner Bolzenring des Hufschmiedes in der Harzstraße ruht seit Jahrzehnten im Frankfurter Goethemuseum.)

Ein Glück für das Genie Wolfgang, daß er in seinem "Blute" viele schollennahe, derbe, urgesunde Bauern- und Bürgerkräfte als starke Erbmassen trug! Sonst hätten sein "Dämon" und seine geistig-seelische Vielseitigkeit ihn wohl sicher frühzeitig aufgerieben. Ähnlich haben Leonardo da Vinci, Martin Luther und Friedrich ("Detlev") Freiherr von Liliencron die Wucht ihres Schaffens nicht ihren feingeistigen, sondern ihren bäuerlich-festen Ahnenstämmen zu verdanken.

Viele unter uns wähnen, nur von Goethes aus Artern stammendem Großvater Friedrich her sei der Große in unserem mitteldeutsch-thüringer Volkstum verwurzelt, alles andere verdanke er west- und süddeutschen Geschlechtern. Nein, auch unter seiner Mutter Ahnen gibt es genug Mitteldeutsche. Der Mutter Urgroßmutter Elisabeth Schröter hatte 1618 zu Meiningen das Licht der Welt erblickt, deren Vater Jakob Hennebergischer Kanzler und vorher – Jenaer Professor gewesen war! Einer dieser Schröters, Johannes, war zu Wien Leibarzt des Kaisers Ferdinand, und des Johannes Bruder wurde 1569 regierender Bürgermeister in – Weimar!

Es würde viel zu weit führen, wollten wir all den Bezügen nachgehen, die sich ferner ergeben. Kürzest dies: Jakob Schröter führte eine Tochter des zu – Gotha 1567 zu Unrecht übel hingerichteten Kanzlers Dr. Christian Brück heim, dessen Frau eine Tochter des berühmten Luthermalers Cranach war! Barbara Cranach-Brücks zweiter Großvater überreichte als Kanzler dreier Kurfürsten zu Augsburg 1530 auf dem Reichstage die Kampfschrift der Evangelischen, der Protestanten. Der Dichterfürst selber schrieb dann bekanntlich:

"Und will in Kunst und Wissenschaft
Wie immer protestieren"

und wurde ja von engkirchlich Gesinnten oft "der große Heide" genannt. Mit ihm sind blutsverwandt auch sein Leipziger Jugendfreund Ernst Wolfgang Behrich und die Romantiker Gebrüder Schlegel. Aber sogar der Goethemutter Urgroßmutter Walter stammte aus der Nähe von – Gotha, aus Pferdingsleben, und ihre Ahnen dort waren rechte Bauern.

Wenden wir uns nun nichtthüringischen Ahnen Goethes zu, schauen wir uns die Weber an, deren einer Wolfgang, um 1615 als gräflich hohenlohescher Kanzleiverwalter seinen Familiennamen verlateinte in Textor. Die waren erst auch Bauern gewesen, dann einer Schneider, dann mehrere Rechtsgelehrte, und Johann Wolfgang Textor, des Dichters Großvater, war Doktor beider Recht, Stadt- und Gerichtsschultheiß, später Bürgermeister von Frankfurt. Zum "Blute" der Textors war das der Akademiker Lindheimer und Seip gekommen, Geistlicher und Professoren, dazu Köhler und Ley, Geistliche, Prokuratoren und Kanzler, wie schon erwähnt. Und wieder kommen Thüringer unter diesen Ahnenzweigen vor: die Zöllner und Wolff; und die Lauk (Lucanus) und Orth aus Hessen-Nassau, dann aber auch manch niederer Adel Oberhessens und der Wetterau.

Die Höherzüchtung dieser Ahnenreihen kam in der Regel durch Fleiß und durchs Hereinholen der Frauen aus höheren Schichten; für die Gesundheit der meisten Erbstämme spricht hohe Kinderzahl. Allein einer jener Orthes hatte schon achtzig Jahre nach seinem Verscheiden unter seinen Nachkommen 36 Doktoren der Gottes- und Rechtsgelehrtheit, der Heilkunde, Professoren, Superintendenten und Hofprediger. Man sieht, es fehlt kaum nach einer Seite hin an Talentherden, nicht bei Gelehrten noch Verwaltungsmännern, aber auch nicht zwischen Handwerkern und Bauern. So sorgten die Ahnenreihen gleichermaßen fürs Anschwellen der Begabungen wie für unverfälschtes Gefühlsleben, für Natur- und Heimatnähe.

An deutschen Landschaften zeigen sich beteiligt: außer thüringer, hessischen und schwäbischen auch mecklenburgische, pommersche und niedersächsische. Seit der Reformationszeit waren sämtliche Goethesche Ahnen der "neuen", also freieren Lehre ergeben. Und es ist zu bedenken, daß der Nordthüringer sehr viel norddeutsches Blut in sich hegt und sonstige Zuflüsse aus vielen Richtungen besitzt; im Süden aber stößt Goethes Ahnenschaft bis an Bayern heran. Natürlich sind die meisten Ahnen der meisten Bürger und Akademiker Bauern gewesen, die allermeisten Handwerker betrieben zugleich Landwirtschaft. Einer der Ahnen aber, Magister Ley, war sogar poeta laureatus, d.h. bekränzter Dichter.

Fassen wir zusammen: in Goethes Ahnenschaft (aber auch in vielen anderen!) gibt es Bauern, Schmiede, Fleischer, Schneider, Böttcher, Bierbrauer, Weingärtner und –händler, Barbiere, Barchentweber, Kupferstecher, Müller, Kürschner, Tuchmacher, Fuhrmänner, Handelsherren, Ratsmänner, Schultheißen von Städten wie Dörfern, Gelehrte, Hofleute, und in weiter zurückreichenden Stammfolgen als blutsverwandt aber auch: die großen Karolinger und Salier, Sachsenkönige, pommersche Herzöge, mecklenburger Fürsten, ferner die berühmten Herrschergeschlechter der Braunschweiger, Wittelsbacher und Wettiner, der Hohenzollern, Habsburger und Hohenstaufen.

Und auch an (wohl gesunder) Inzucht fehlt es nicht, wenigstens heirateten Berkaer-Arterner Goethes zweimal eine Sibylla Werner aus Artern, vermutlich erst die Tante und dann die Nichte altwernerischen Geschlechts zu Artern.


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